
Mit dem Start der diesjährigen Motorradsaison verstärkt sich in Nordrhein-Westfalen wieder der Streit um den Lärm der Zweiräder. Anwohner an besonders beliebten kurvenreichen Strecken im Sauerland, der Eifel oder im Bergischen Land fühlen sich empfindlich gestört und fordern Tempolimits oder Streckensperrungen, wenigstens an Wochenenden.
Die Motorradfahrer wehren sich – mit Demonstrationen und auch juristisch – gegen Sperrungen und werben in den eigenen Reihen für mehr Rücksicht am Lenker. Hintergrund ist die stark gestiegene Zahl der Motorräder in NRW: Allein 2020 wuchs die Zahl der Neuzulassungen im Bundesland um mehr als 11.000 auf 41.600.
Wo sind die Hotspots?
Vor allem in den bergigen Regionen des Sauerlandes und der Eifel an kurvenreichen Strecken – etwa in Schmallenberg im Hochsauerland und am Ochsenkopf zwischen Arnsberg und Sundern oder in Simmerath oberhalb des Rursees. Zehn Streckensperrungen in NRW meist nur an Wochenenden und Feiertagen umfasst eine aktuelle Liste des Bundesverbandes der Motorradfahrer (BVDM). Hinzu kommen örtliche Nachtfahrverbote für Motorräder.
Eine Sperrung hat sogar schon das oberste Verwaltungsgericht im Land beschäftigt: Das OVG kassierte vor knapp zwei Jahren ein Sommer-Verkehrsverbot für Motorräder auf einer Straße im Märkischen Kreis zwischen Herscheid und Meinerzhagen als unverhältnismäßig.
Was tut die Polizei?
Die Polizei kontrolliert verstärkt und geht gegen Raser – egal mit welchem Fahrzeug – vor, wie Innenminister Herbert Reul (CDU) Mitte März bei der Präsentation der Verkehrsunfallzahlen ankündigte. Bei einer Kontrolle zum Start der Motorrad-Saison im Kreis Euskirchen waren am vergangenen Wochenende beispielsweise an einem Tag 90 Motorradfahrer zu schnell, wie die Polizei mitteilte. Ein Fahrer habe sein Motorrad auf 115 Kilometer pro Stunde in einer Tempo-50-Zone beschleunigt. Bei den Kontrollen achten die Beamten auch auf technische Manipulationen etwa an Auspuffanlagen.

Was sagen die Anwohner?
Vom Motorradlärm stark betroffene Kommunen wie Wermelskirchen haben sich der bundesweiten Kampagne „Silent Rider“ angeschlossen. Sie fürchten wegen des Lärms um ihre Gesundheit und fordern deutlich höhere Bußgelder für zu laute Motorräder, das generelle Verbot von „Sounddesign“ am Auspuff und die rechtliche Möglichkeit der sofortigen Stilllegung von Fahrzeugen bei Manipulationen. Wermelskirchen hat Hinweisbanner mit der Aufschrift „Lärm macht krank – runter vom Gas“ und Geschwindigkeitsanzeigen aufgestellt. Dort gibt es auch eine der wenigen nicht zeitlich begrenzten Vollsperrungen in NRW.
Wie reagieren die Motorradfahrer?
Der Bundesverband der Motorradfahrer unterstreicht bei jeder Gelegenheit, dass sich die überwiegende Mehrzahl der Motorradfahrer in NRW an die Regeln halte. Zum Saisonbeginn hat er eine Aufklärungsaktion unter dem Motto „Es geht auch leiser“ mit Anzeigen und großformatigen Plakaten an beliebten Motorradstrecken gestartet.
Der Verband vermittelt bei Streitigkeiten in Kommunen, organisiert Demonstrationen und versucht, Streckensperrungen durch Absprachen abzuwenden. Wenn das nicht hilft, zieht er vor Gericht. Dass es auch Motorradfahrer mit zu lauten Zweirädern oder rücksichtslosem Fahrstil gibt, räumt allerdings auch Verbands-Vize Michael Wilczynski ein. Auf „circa fünf Prozent“ schätzt er deren Anteil.
Was sagt das Land NRW?
Das Land NRW hatte 2020 maßgeblichen Anteil an einem Bundesratsbeschluss für weniger Motorradlärm, schärfere Strafen und bessere Kontrollmöglichkeiten. Zuständig ist aber überwiegend der Bund – und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) habe sich „taub gestellt“, wie die Bundestagsgrünen bemängelten.
So äußert sich die Industrie
Neue Motorräder seien durch verschärfte europäische Grenzwerte schon wesentlich leiser geworden, zuletzt zum Ende 2020, betont der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Motorradindustrie in Deutschland, IVM, Reiner Brendicke. „Mit serienmäßigen Fahrzeugen und einer vernünftigen Fahrweise können Störungen von Anwohnern deutlich reduziert werden“, verspricht er.
Außerdem lässt sich der Lärmausstoß nicht nur technisch, sondern schlicht mit der Hand am Gasgriff regulieren, betont der ADAC, der sich gegen „Kollektivstrafen für Motorradfahrer“ durch Fahrverbote ausspricht. Damit die Fahrer bei der Ortsdurchfahrt niedrige Gänge meiden und den Motor nicht aufheulen lassen, bietet der Club jetzt Kommunen auf Wunsch kostenlose Hinweisschilder zum Aufstellen an: „Leise fahren, Lärm ersparen“ heißt es darauf – oder etwas plakativer: „Bitte nicht rööööhren“.
dpa