
Der erste Bürgerentscheid der Hertener Stadtgeschichte steht bevor. Vom 6. Februar bis zum 6. März sind 46.486 Bürger/innen (ab 16 Jahren) aus ganz Herten aufgerufen, über ein Bauprojekt abzustimmen, das seit Monaten – eigentlich schon seit Jahren – für Diskussionen sorgt.

Dabei treten mehrere Schwierigkeiten auf: Viele Hertener/innen von Bertlich bis Süd, die jetzt wahlberechtigt sind, haben die bisherige Diskussion nicht im Detail oder gar nicht verfolgt, da das Thema in erster Linie die Stadtteile Scherlebeck und Langenbochum berührt.
Eine weitere Hürde: Es gibt kein „Gut und Böse“, sondern es gilt, komplexe Sachverhalte zu verstehen und gegeneinander abzuwägen: einsatztaktische Abläufe bei der Feuerwehr, gesetzliche Hilfsfristen, Eigentumsverhältnisse, Umwelt- und Klimaschutz, Regionalplanung, Sportstättenentwicklung… Sich ein Meinungsbild zu verschaffen, wird noch zusätzlich dadurch erschwert, dass die Trennlinie zwischen Befürwortern und Gegnern quer durch Bürgerschaft und Politik führt. Beide Seiten liefern sich hitzige Auseinandersetzungen.
Die folgenden Fragen und Antworten sollen dem Ziel dienen, den Sachverhalt, über den wir seit dem Frühjahr 2022 kontinuierlich mit Texten, Fotos, Videos und Grafiken berichtet haben, noch einmal zusammenzufassen. Die Materie ist allerdings so vielschichtig, dass nicht jeder Aspekt im Detail erörtert werden kann.
Feuerwehrhaus zum Teil fast 100 Jahre alt
Worum geht es im Wesentlichen?
Der Löschzug Scherlebeck der Freiwilligen Feuerwehr benötigt dringend ein neues Gerätehaus. Das bestehende Gebäude an der Richterstraße ist zum Teil 100 Jahre alt, stark sanierungsbedürftig, durch mehrere Anbauten verwinkelt und es genügt in puncto Technik, Sicherheit und Gesundheitsschutz längst nicht mehr den aktuellen Anforderungen.
Eine Sanierung erscheint weder sinnvoll noch wirtschaftlich. Im Übrigen könnte das frei werdende Areal mittelfristig für einen Umbau der benachbarten Comeniusschule genutzt werden. Diese braucht zusätzliche OGS-Betreuungsplätze und außerdem Ersatz für ihren maroden Altbau.

Eine Mehrheit der Politiker im Rat der Stadt Herten (SPD, CDU, Grüne, FDP, LOS) hat im Juni 2022 beschlossen, dass der Neubau des Feuerwehr-Gerätehauses an der Backumer Straße gegenüber der Sportanlage Nord entstehen soll: auf einem wenig genutzten Tennisplatz sowie einem angrenzenden kleinen Sport- beziehungsweise Bolzplatz.
Eine Bürgerinitiative (BI) sowie TOP-Partei, Linke und AfD sehen in den Flächen, die von Bäumen und Sträuchern umgeben sind, einen erhaltenswerten Grünzug. Die rund 30 Mitglieder zählende BI verweist auf den vom Regionalverband Ruhr (RVR) aufgestellten Regionalplan, der die Flächen als Bestandteil einer überregional bedeutsamen Durchlüftungszone ausweist.
Die BI hat in einem ersten Schritt mehr als 4000 Unterschriften gegen die Bebauung gesammelt. Weil sich die Ratsmehrheit von diesem sogenannten Bürgerbegehren nicht umstimmen ließ, kommt es jetzt zu einem Bürgerentscheid. Die wahlberechtigten Hertener Bürger/innen haben es also selbst in der Hand, den Ratsbeschluss zu bestätigen oder zu kippen.

Wichtig für das Klima oder ökologisch wertloser Beton?
Warum ist das Projekt so umstritten?
Ganz aktuell ist ein zentraler Diskussionspunkt, welchen ökologischen Wert die Flächen an der Backumer Straße tatsächlich haben. Die Bürgerinitiative argumentiert, dass nicht nur Sport- und Freizeitflächen unwiederbringlich bebaut würden, sondern dass durch das geplante Gebäude mit zwei seitlichen Lärmschutzwänden (2 und 5 Meter hoch) die Wirkung der Durchlüftungszone aufgehoben würde. Deren Sinn ist es, innerstädtisch und auch städteübergreifend Naturflächen zu verbinden, hier die Ried mit den Wiesen und Feldern im Umfeld der Vestischen Straßenbahnen.
Die Befürworter des Feuerwehr-Neubaus halten dagegen, dass es sich um heruntergekommene, brachliegende Betonflächen handele, deren ökologischer Wert durch ein Feuerwehrhaus mit begrüntem Dach und bepflanzten Lärmschutzwänden deutlich gesteigert würde.

Belastet wird die aktuelle Diskussion aber auch durch die lange Vorgeschichte. Von 2016 bis 2018 gab es schon einmal eine aufwendige Grundstückssuche. Damals legten sich Stadtverwaltung, Feuerwehr und Rat auf das freie Grundstück am Scherlebecker Kreisverkehr fest, das die Stadt Herten dann auch extra für diesen Zweck erwarb. Ein Neubau an der Backumer Straße wurde damals ausdrücklich ausgeschlossen. Gründe waren die nahe Wohnbebauung (Lärmbelästigung) und die erwähnte Durchlüftungszone.
Andere Entscheidungsträger als 2018
Die Kritiker der Bebauung werfen jetzt die Fragen auf, warum ein Grundstück, das vor fünf Jahren kategorisch ausgeschlossen wurde, heute die beste Wahl sein soll – und was nun aus der Fläche am Kreisverkehr wird. Fragen, die die Stadtverwaltung bisher nicht beantwortet hat. Fakt ist: Im Stadtrat, im Löschzug Scherlebeck und in der Stadtverwaltung sitzen heute komplett andere Entscheidungsträger als 2018. Und die bewerten den Sachverhalt offenbar auch komplett anders.

Welche Pro-Argumente nennen Feuerwehr und Stadtverwaltung heute für die Backumer Straße?
Anders als das Grundstück am Kreisverkehr, das sich offenbar im Nachhinein als zu klein erwiesen hat, stehen an der Backumer Straße ausreichend große Flächen zur Verfügung. Hervorgehoben wird des Weiteren die zentrale Lage des Feuerwehr-Gerätehauses in der Mitte des Bezirks Langenbochum/Scherlebeck, für den der Löschzug zuständig ist. Das bedeutet: Die 63 aktiven ehrenamtlichen Kräfte könnten, wenn sie zum Beispiel in der Freizeit zu einem Einsatz alarmiert werden, einen zentralen Ort ansteuern, sich dort umziehen, die Fahrzeuge besteigen und in alle Richtungen ausrücken. Befände sich das Gerätehaus hingegen am weniger zentralen Kreisverkehr, könnten die Anfahrtswege der Einsatzkräfte und – je nach konkreter Einsatzstelle – auch der Ausrückeweg länger sein.
Zwar rückt der Löschzug Scherlebeck oft zur Unterstützung der Berufsfeuerwehr aus. Es kann aber auch passieren, dass der Löschzug Scherlebeck einen Einsatz zunächst alleine bewältigen muss. In einem solchen Fall können einige Minuten Zeitdifferenz beim Ausrücken eine Rolle spielen.
Üblicherweise hat der Löschzug Scherlebeck 30 bis 50 Einsätze pro Jahr, vom Sturmschaden bis zum Wohnungsbrand.

Gäbe es Standort-Alternativen?
Aus Sicht von Feuerwehr, Stadtverwaltung und Ratsmehrheit nicht – aus Sicht der Bürgerinitiative und einzelner Parteien aber sehr wohl. Doch unproblematisch sind auch diese nicht. So bringt etwa die TOP-Partei zwei Varianten in die Diskussion, bei denen ebenfalls (landwirtschaftlich genutzte) Wiesen- und Acker-Flächen versiegelt würden: an der Polsumer Straße neben der Pferdesportgemeinschaft sowie an der Ecke Polsumer Straße/Backumer Straße. Eine dritte Variante wäre der frühere Zechensportplatz an der Backumer Straße (Nähe Zubringer L511), den die Stadt aber erst kaufen müsste. Eine weitere Variante wäre die Rückkehr zur Planung am Kreisverkehr.
Lärmschutz und keine optimalen Verkehrsbedingungen
Was gibt es bei dem jetzt favorisierten Grundstück an der Backumer Straße sonst noch zu wissen oder zu bedenken?
Die Straße ist dort sehr schmal. Wenn sich heute ein Linienbus und ein Pkw begegnen, kann es bereits kniffelig werden. Bedingt durch den dort ansässigen Fußballverein BWWL, die Kita „Villa Kunterbunt“ und den Friedhof sind zu bestimmtem Tageszeiten viele Autos und Menschen in dem Bereich unterwegs. Und die angrenzenden Kreuzungen Langenbochumer Straße und Polsumer Straße sind recht unübersichtlich. Die Verkehrsbedingungen sind also für das Ausrücken großer Löschfahrzeuge nicht optimal. Die Stadt will daher in die Ampel an der Kreuzung Langenbochumer Straße/Backumer Straße eine Vorrangschaltung einbauen. Dadurch soll die Feuerwehr bevorzugt ausrücken.
Die benachbarten Anwohner und die Kita „Villa Kunterbunt“ sollen mit zwei bepflanzten, seitlichen Lärmschutzwänden geschützt werden. Die Bäume, die die Backumer Straße säumen, sollen laut Stadtverwaltung weitestgehend erhalten bleiben (1 bis 2 Fällungen). Gleiches gilt für die Parkplätze am Straßenrand.
Das neue Feuerwehrhaus – Hauptgebäude und Fahrzeughalle – soll als Niedrig-Energie-Gebäude angelegt werden: mit optimaler Dämmung, begrüntem Dach, Photovoltaikanlage, Regenwasser-Versickerung usw.
Entscheidung fällt am 6. März
Wie läuft der Bürgerentscheid formal ab?
Vom 6. Februar bis 6. März können alle Wahlberechtigten abstimmen – nur auf dem Postweg, es gibt keine Wahllokale. Die Wahlunterlagen werden in diesen Tagen auf dem Postweg zugeschickt. Am Montag, 6. März, läuft ab 16 Uhr die Auszählung. Der Bürgerentscheid gilt als erfolgreich, wenn die Mehrheit mit „Ja“ votiert. Zugleich muss diese Mehrheit mindestens 15 Prozent der insgesamt 46.486 Wahlberechtigten entsprechen. Das wären knapp 7000 Menschen. In einem solchen Fall wäre der Ratsbeschluss aufgehoben und der Neubau des Feuerwehrhauses an der Backumer Straße vom Tisch.