Datteln 4: Anwalt des Widerstandes übt Kritik an Ratspolitikern
Einen Prozess gegen Datteln 4 hat Umweltanwalt Philipp Heinz in seiner beruflichen Karriere noch nicht verloren. 2009 vertrat er die Waltroper Familie Greiwing erfolgreich im ersten Normenkontrollverfahren gegen den ursprünglichen Bebauungsplan für das Kohle-Kraftwerk Datteln 4 und erwirkte den zwischenzeitlichen Baustopp. Seit 2011 hatte er rund 60 Dattelner und Waltroper Privatpersonen während des Aufstellungsverfahrens des neuen Bebauungsplanes 105a gegenüber der Stadt Datteln vertreten. Auch beim aktuellen Verfahren zur Normenkontrolle am 26. August 2021 hatte er vor dem Oberverwaltungsgericht Münster Erfolg.
Berliner Anwalt nimmt Dattelner Ratspolitiker in die Pflicht
Und für Philipp Heinz steht fest: Wer sich jetzt von den damaligen Entscheidern auf lokalpolitischer Ebene in Datteln überrascht zeigt, „hat damals schlicht und ergreifend seinen Job nicht gemacht.“ Denn zwei Stellungnahmen, die er im Jahr 2011 an die Stadt Datteln im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung sowie der Auslage des Flächennutzungs- und Bebauungsplanes schickte, würden genau die Kritikpunkte beinhalten, die letztendlich nun vor Gericht dazu geführt haben, dass der B-Plan 105a für unwirksam erklärt wurde. Er habe „exakt das geschrieben und massiv gerügt“, was nun vor Gericht zum Erfolg geführt hat.
Insbesondere die Aussagen von Peter Amsel, der 2014 als Fraktionschef der FDP im Rat fungierte, will er so nicht stehen lassen. Offenbar haben Amsel und weitere Stadträte von 2014 seine mit „aller Sorgfalt und Ausführlichkeit“ verfasste Stellungnahme im Namen von 60 Bürgern und zwei großen Umweltverbänden nicht gelesen, offenbar nicht einmal zur Kenntnis genommen. „Das wäre aber seine zentrale Pflicht als Stadtrat gewesen“, kritisiert Heinz. Amsel hatte im Nachgang des OVG-Urteils gesagt, die Standort-Frage sei bei der Aufstellung des neuen B-Plans in Datteln nie ein Thema gewesen.
Kritik an der Standortsuche gab es schon im Jahr 2011
Tatsächlich habe Heinz die „stark fehlerhafte Standortalternativensuche, auf die sich die Stadt Datteln beruft“, schon 2011 moniert, „weil eine Einschränkung auf den alten Regionalplan Emscher-Lippe erfolgt ist und weil die Kriterienauswahl fehlerhaft ist.“ Dies habe er ausführlich formuliert und auch für einen Nichtjuristen verständlich dargelegt. „Und ansonsten muss man als Stadtrat eben so lange nachfragen, bis man es verstanden hat“, sagt Heinz. Auch gegenüber des Regionalverbandes Ruhr habe Heinz eine Stellungnahme mit diesen Kritikpunkten im Jahr 2011 im Rahmen der Beteiligung zur 7. Änderung des Regionalplans deutlich gemacht.
Nicht nur die vermeintliche Unwissenheit, auch die Aussagen von Peter Amsel bezüglich des nicht vorhandenen, öffentlichen Widerstandes stoßen dem Berliner Rechtsanwalt sauer auf. „Was soll das denn bitte heißen? Richtet sich Herr Amsel nur danach, wer am lautesten schreit? Ist nur das ,Widerstand‘? Bei der Aufstellung eines Bebauungsplans für eines der größten und immissionsträchtigsten Kohlekraftwerke Europas geht es um eine intensivste Auseinandersetzung mit fachlichen und rechtlichen Gesichtspunkten“, führt Heinz aus. Offenbar würde es für Peter Amsel nicht zählen, wenn 60 Bürger, die vornehmlich aus der Stadt kommen, in der er Ratsherr war, und „massiv von dem Vorhaben betroffen sind“, sich zusammentun und zudem einen Anwalt finanzieren, der eine 140-seitige Stellungnahme verständlich erarbeitet und im Rahmen der zentralen Öffentlichkeitsbeteiligung die Probleme und Fehler auf fast 400 Seiten aufarbeitet, meint Heinz.
Datteln kann auch ohne Kraftwerk mit Fernwärme versorgt werden
Auch um die Fernwärmeversorgung in Datteln machte sich Peter Amsel im Zuge des OVG-Urteils Sorgen. Philipp Heinz verweist auf die errichtete Fernwärmepipeline, die Datteln an den Verbund Recklinghausen angeschlossen hat. Der von Eon errichtete Fernwärmeblock, der in Betrieb genommen wurde, als das Altkraftwerk abgeschaltet wurde und Datteln 4 noch nicht in Betrieb war, würde zudem vollkommen ausreichen, um Datteln mit Fernwärme zu versorgen. „Nur zur Dimension: Datteln 4 hat eine Feuerungswärmeleistung von 2.400 Megawatt. Das Fernwärmenetz von Datteln kann selbst im Winter maximal 58 Megawatt aufnehmen. Sprich, die Dattelner Fernwärme nimmt rund 2,5 Prozent der Feuerungsleistung dieses Kraftwerks auf“, wird Heinz deutlich.
Dass sich Betroffene gegen Fehler des Staates und der Behörden wehren können, würde noch lange nicht dazu führen, dass der Industriestandort Deutschland in Gefahr gerät, wie es Peter Amsel befürchtet, stellt Philipp Heinz klar. „Das ist doch vielmehr der Inbegriff des Rechtsstaats!“ Eher würde es daran liegen, dass die Entscheidungsträger – „inklusive Herrn Amsel“ – frühzeitige Kritik von Betroffenen und Umweltverbänden „in den Wind schieben bzw. gar nicht erst zur Kenntnis nehmen“.
Während der kleinen Feier nach dem OVG-Urteil in der Postkutsche teilte Philipp Heinz den Kraftwerksgegnern von IG Meistersiedlung und BUND mit, dass er in bis zu einem Jahr mit dem Aus für Datteln 4 rechne. Noch ist derweil unklar, wie Uniper im Zuge des ungültigen Bebauungsplanes mit dem Kohlekraftwerk plant. Der nächste Schritt der Gegner wäre eine Klage gegen die Betriebserlaubnis, wenn der Energiekonzern Uniper nicht schon vorher in Verhandlungen mit der Bundesregierung über ein Aus für Datteln 4 tritt.
Kraftwerk soll ab 2026 unwirtschaftlich sein
Nach Berechnungen des Analyseinstituts „Energy Brainpool“ im Auftrag der Öko-Energieversorger „Greenpeace Energy“ würden die Betriebskosten des Kraftwerks bei steigenden CO2-Preisen bereits 2026 die Verkaufserlöse von dort produziertem Kohlestrom übersteigen, was das Kraftwerk unwirtschaftlich werden ließe. „Datteln 4 rechnet sich nur dann, wenn die nächste Bundesregierung bewusst die Energiewende ausbremsen sollte, etwa mit niedrigen CO2-Preisen oder einem langsamen Ausbau der Erneuerbaren. Das aber wäre ein umweltpolitischer Offenbarungseid – und ein klarer Verstoß gegen die selbst gesetzten Klimaziele“, kommentiert Marcel Keiffenheim, Leiter Politik und Kommunikation bei Greenpeace Energy, die Berechnungen. Immer wahrscheinlicher wird die Möglichkeit, dass Uniper schon vor einem Prozess gegen die Betriebserlaubnis mit der Bundesregierung über ein Aus des letzten Kohlemeilers, der in Deutschland ans Netz gegangen ist, verhandelt. „Dabei darf die Politik sich nicht auf saftige Entschädigungszahlungen einlassen. Solch offensichtliche und fahrlässige Fehlinvestitionen sollten den Kohlekonzernen nicht auch noch auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vergoldet werden“, bezieht Keiffenheim Stellung zu den möglichen Forderungen in Millionenhöhe von Betreiber Uniper.